25.09.202

Ich hasse Tischtennis  

Schon am Nachmittag breitet sich in meinem Körper ein mulmiges Gefühl aus. Heute Abend spiele ich wieder gegen Hans-Hermann, meinen absoluten Lieblingsgegner. Da wir beide schon sehr lange Tischtennis spielen, treffen wir seit vielen Jahren immer wieder aufeinander. Heute muss ich endlich wieder mal gewinnen. Mein letzter Sieg liegt sicher schon sieben Jahre zurück. Aber heute werde ich es schaffen. Damit ich mich ordentlich einspielen kann, gehe ich frühzeitig zur Halle, baue schon mal Tische auf und warte auf meine Mannschaftskameraden. Gefühlte dreißig Minuten später, tatsächlich waren es nur fünf, kommt endlich jemand, mit dem ich mich einspielen kann. Es dauert nicht lange und die gegnerische Mannschaft latscht in die Halle. Meine Hoffnung, dass Hans-Hermann heute nicht dabei ist, erfüllt sich nicht. Mit einem viel zu breiten Grinsen stürmt er auf mich zu, um mich überschwänglich zu begrüßen. Ich reiße mich zusammen. Nützt ja nichts. 

Das Spiel beginnt mit den Doppeln. Wir gewinnen locker 3:0, während unsere Mannschaftskameraden mit 1:3 passen müssen. Auch mein erstes Einzel kann ich einigermaßen souverän für mich entscheiden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es heute klappt. Insgesamt ist das Spiel sehr ausgeglichen. Für beide Mannschaften ist noch alles drin. Jetzt geht es gegen Hans-Hermann. Schon bei der Begrüßung quatscht er mich wieder voll. Natürlich muss er seine positive Bilanz gegen mich heraushängen lassen. Ich hasse das. Mit zwei langen Aufschlägen in die Rückhand gehe ich in Führung. Klappt gut. Heute ist mein Tag. Obwohl ich den ersten Satz mit 11:8 gewinne, grinst mein Gegner mich permanent an. Möglicherweise macht er das gar nicht absichtlich, sondern der Gesichtsausdruck ist reine Verkrampfung. Heute werde ich die Niederlagenserie beenden.

 Doch der zweite Satz läuft komplett anders. Hans-Hermann geht in Führung und macht kaum noch Fehler. Und er hat natürlich wieder zwei Netzroller und einen Kantenball. Noch nehme ich die Entschuldigung kommentarlos hin. Meine Zeit wird noch kommen. In diesem Satz kommt sie nicht, 7:11. In der Pause versuche ich, mich zu sammeln. Man muss konzentriert bleiben, immer nur der nächste Punkt zählt. Spielen, dass man Spaß hat und am meisten Spaß hat man, wenn man gewinnt.

Tatsächlich gelingt es mir, das Spiel wieder an mich zu reißen. Mit sicheren Schupfbällen mit der Anti-Seite und gezielten Schmetterbällen in die Rückhand habe ich das richtige Rezept gefunden, 11:6. Natürlich hatte ich dabei auch zwei Netzroller und drei Kantenbälle, aber wer will das wissen. Wieso habe ich eigentlich so oft gegen ihn verloren. Der kann nichts.

Im vierten Satz ist wieder alles anders. Ich bin nicht mehr bei der Sache. Viel zu viele wirre Gedanke verbreiten in meinem Kopf ein Chaos, das ich nicht in den Griff bekomme, und das Spiel schon gar nicht, 5:11.  Pause. Meine Mannschaftskameraden geben mir Tipps. „Mehr kurz in die Rückhand oder lang in die Vorhand. Du machst das schon. Aber wir brauchen deinen Punkt“. Kein Problem. Mit Druck kann ich umgehen.

Ich gehe zurück an den Tisch. Mein Gegner lässt mich warten. Was soll das? Im fünften Satz ist ein guter Start besonders wichtig. Klappt auch, 2:0. Aber beim Seitenwechsel liege ich mit 2:5 hinten. Jetzt alles mobilisieren, mehr Risiko. Ich versuche einen langen Topspin in die Vorhand, dann einen kurzen Block, 3:5. Ich habe Aufschlag und damit beste Chancen auszugleichen. Nach langer Überlegung entscheide ich mich für einen ganz kurz geschnittenen Ball in die Vorhand. Leider bleibt der Ball im Netz hängen. Was soll ich noch machen? Auszeit. Ich gehe in eine Ecke und versuche mich zu konzentrieren. Alle Sportspsychologen dieser Welt reden auf mich ein.

Mit neuem Mut ausgestattet komme ich auf 5:6 heran, aber nur, weil auch mein Gegenüber jetzt Nerven zeigt und leichte Fehler macht. Der Arm wird immer schwerer.  Ich schupfe die Bälle nur noch zurück. Das will ich gar nicht. Pure Angst blockiert die Leitungen vom Gehirn zu den Muskeln. Auch mein Gegner traut sich kaum noch. Die Ballwechsel werden immer länger. Viel zu viel Zeil für falsche Gedanken. Ein Blick an den Nachbartisch verrät, dass auch mein Mannschaftskamerad sein Spiel nicht mehr gewinnen wird. Heute wird es nichts. Wir werden verlieren und in der Tabelle weiter nach unten rutschen. Das wäre doch nicht nötig gewesen. Warum geht nichts mehr?

Doch plötzlich steht es 9:10. Noch ein Ball und alles ist wieder offen. Das Wunder passiert. Hans-Hermann riskiert einen Schmetterball zum vermeintlichen Sieg. Doch der Ball springt von der Netzkante ins Aus. Jetzt scheint wieder die Sonne. Alle Mannschaftskameraden und die zwei Zuschauer feuern mich an. Noch einmal mein Spezialaufschlag, von der Rückhandseite mit viel Effet lang in die Rückhand. Doch ich treffe den Ball nicht. Entsetzen auf der Bank. Der nächste Ball fällt von der Schlägerkante ins Netz. Aus. Vorbei. Versteinert und wortlos gratuliere ich meinem Gegner zum Sieg. Dann werfe ich den Schläger ( nicht an die Wand ) in die Sporttasche. Ich hasse Tischtennis.

Nach dem Duschen, bei dem ich nicht nur den Schweiß, sondern auch den Frust mit viel Wasser wegspüle, setze ich mich neben Hans-Hermann. Wir trinken zusammen ein Bier und unterhalten uns. Was machen die Kinder und die Enkel? Wie war der Urlaub? Wie lange hast du noch bis zur Rente? Nach einer Stunde machen sich die Gäste gut gelaunt auf den Heimweg. Doch ganz sicher ist: Beim nächsten Mal gewinne ich!

                                                                                                                                                            Willi Berssen